Rosa Freund David, 1875–1956, mother.
Rosa David had been in Palestine for hardly more than six months, when, a visiting doctor presented an assembly of the residents in the nursing home with a project. Dr. Straus clearly meant to alleviate their isolation and sense of loss, but she also appealed to a universal desire to communicate and commemorate. She proposed that these refugees from all parts of Germany recount their experiences. It was not meant to be a great literary endeavor, she said; the goal was rather to create a mosaic of a Jewish way of life that had effectively been eradicated by world events. To start the ball rolling, Dr. Straus told the story of her own parents’ engagement. Two women immediately joined the discussion. One of the other residents, Adolf Peritz, suggested that the group select a topic about which everyone would have something to relate. He then volunteered to speak at the next meeting. The chosen topic was: My Parents’ House. Several handwritten texts survive. What follows here is Rosa’s contribution:
Wenn ich Ihnen heute etwas aus meiner Jugendzeit erzählen will, muß ich Sie um Nachsicht bitten, denn es ist nicht viel Bemerkenswertes in dem, was ich zu sagen habe. Ich kann Ihnen nichts über das jüdische Leben in meiner Vaterstadt Breslau berichten das wird sich wohl nicht viel von dem in anderen größeren deutschen Städten unterschieden haben, auch nicht von immer neuen Eindrücken, die ich dadurch empfing, daß meine Eltern ihren Wohnort wechselten, denn das Haus in dem ich das Licht der Welt erblickte, verließ ich nicht bis meiner Heirat. So war das Elternhaus meine ganze Welt, und es war erfüllt von dem Geiste meines Vaters und meiner Mutter. Es muss wohl ein guter Geist gewesen sein, denn mehrere Jugendgenossen, denen ich im späteren Leben wieder begegnete, versicherten mir, sie hätten in meinem Elternhaus die schönsten Stunden ihres Lebens verbracht. Es war immer ein offenes Haus und immer bereit jeden aufzunehmen, der es gerade wünscht; sei es eine alte Tante, die während der Feiertage nicht allein sein wollte, oder andere Verwandte, die in unserer Stadt etwas erledigen wollten, Vettern und Kusinen, die ihre Ferien schön bei uns zubrachten, Freundinnen von uns Mädels oder Studiengenossen meiner Brüder, die sich alle bei uns wohlig fühlten. Dabei waren wir Geschwister an sich nicht gerade wenig, ein ganzes Dutzend, 7 Brüder und 5 Schwestern. Mein Vater war Kaufmann. er war bekannt wegen der großen Rechtlichkeit mit der er seinen Beruf ausübte, er hatte schon in damaliger Zeit eine gute deutsche Bildung, ein großes jüdisches Wissen und nahm Anteil an allen sozialen Angelegenheiten. So hatte er zusammen mit seinen Freunden den Verband zur Erziehung Hilfsbedürftiger israelitischer Kinder gegründet, in dem Kinder, die in keinem Waisenhaus aufgenommen wurden, zumeist vaterlose, erzogen werden sollten, und zwar hatte er den Plan die einzelnen Kinder in Familien unterzubringen, die ihnen das Elternhaus ersetzen sollten. In einigen Fällen erzielte man damit auch gute Resultate, und besonders in einem Haus wuchsen die Zöglinge fast durchweg zu tüchtigen Menschen heran, anderen aber wollten sich durch die Aufnahme der Kinder nur einen guten Nebenerwerb schaffen, und so ging man schließlich dazu über, alle Kinder unter Leitung eines Ehepaares in einem Haus zusammen zu fassen. Dieses Haus bestand auch nach dem Tode meines Vaters weiter, bis es durch Hitler wie so viele andere gemeinnützige Unternehmungen sein Ende fand. So lange mein Vater lebte nahm er Anteil an jedem einzelnen der Zöglinge. Er ließ sie zu sich kommen, prüfte ihre Fortschritte, ihren Gesundheitszustand und hatte immer eine besondere Freude, wenn einer im Leben Erfolg hatte. Gegen uns Kinder war mein Vater streng und duldete keinen Ungehorsam; aber er verstand es anderseits sehr, uns im Leben überall das Schöne zu zeigen. Er hatte z. B. eine sehr große Liebe zur Natur, und machte jeden Sonntag mit uns einen Ausflug in die Umgebung Breslaus und dabei machte er uns auf alles Bemerkenswerte, das uns unterwegs begegnete, aufmerksam. Es gingen immer mindestens 6-8 von uns mit, wenn mal ab und zu einer unterwegs zurückblieb, so ließ Vater im [sic] Pfeifchen ertönen, daß er zu diesem Zwecke stets bei sich trug, und bald waren wieder alle beisammen. Ein ganz besonderes Vergnügen war es wenn ihm einmal im Jahr ein Bekannter einen Krämzerwagen, d. i. ein einfacher Wagen mit Holzbänken, in dem circa 20 Personen Platz haben, zur Verfügung stellte und dann noch Freunde mitgenommen wurden. Dann ging es in die weitere Umgebung, und es gab des Singens, Lachens und sich Freuens kein Ende. Auch die Berge Schlesiens zeigte er uns, und wir alle verloren nie die Freude am Bergsteigen überhaupt an Gottes freier Natur. Bei diesen Ausflügen hielt Mutter, ohne die der Vater sonst kein Vergnügen kannte, nicht mit sie war kein gute Fußgängerin. Sonst aber unterstützte sie ihn in allen seinen Bestrebungen, fand sogar bei der eigenen Schar noch Zeit, sich der von Vater betreuten Kinder anzunehmen. Zeit hatte sie merkwürdiger Weise für alle und alles, und es ging wohl keiner, der einer Bitte an sie hatte, enttäuscht von ihr. Meine Mutter war die verkörperte Gute, ich weiß mich nicht daran zu erinnern, von ihr jemals ein böses, nicht einmal ein strenges Wort gehört zu haben. Die sang den ganzen Tag; wenn es einen Streit zu überbrücken, jemandem zu helfen, galt, war sie immer zu haben. Sie war von einer tiefen Frömmigkeit, dabei aber sehr tolerant und versuchte nie, andere zu beeinflussen. Wenn sie Arme unterstütze, achtete sie sehr darauf, daß diese nicht beschämt wurden. So wurden vor jedem Freitag bei uns Berge von Kuchen gebacken, einen Teil davon packte Mutter in Päckchen und in jedes legte sie in Papier gewickeltes Geld; wir Kinder gingen dann mit diesen Päckchen zu Bedürftigen und gaben sie mit Festagsgrüßen von den Eltern ab. Ja, Feste zu feiern verstand man bei uns, und zu jedem Feste gehört etwas Besonderes. 4 Wochen vor Pehsach ließ Vater ein Fäßchen Wein kommen; das füllte er in Flaschen ab, und wir Kinder durften helfen; welche Freude, wenn wir dann am Cederabend davon trinken durften! Und wie schön hielt Vater den Ceder ab!; ich glaube, das ist uns allen immer gegenwärtig geblieben. an Schewuaus wurde natürlich die ganze Wohnung mit Grün geschmückt, und des Nachts blieb man, wie das so in vielen Familien üblich ist, bei Kaffee und Kuchen auf zum Lernen. An Rosh ha Shanah blies mein Vater wohl 25 Jahre lang in der Synagoge, die er besuchte, Shofar. Schon 4 Wochen vorher wurde der Schofar […], dadurch sollte er reiner klingen, und den ganzen Monat blies er täglich; wir glaubten keiner hätte es so schön gekonnt. Am Ausgang des Yom Kippur fingen wir an, Schmuck für die Laubhütte zu machen bei der Ausschmückung beteiligte sich nicht nur unsere ganze Familie, sondern das ganze Haus; und wie stolz waren wir Kinder wenn unser Zukah besonders schön war. Simchas Thora war natürlich ein besonderes Freudenfest; wie immer mit Gästen und recht vielen Süßigkeiten. Auch Channukah warf seine Schatten voraus; da schnitzte Vater ein Stück von einer Bürstenstiel zurecht. er schnitzte die Buchstaben Alef [sic], Gimmel, Nun und Shin darin um ein Trendel zu gießen. Wenn der Guß fertig war, wurde es noch verschönt und wir amüsierten uns während der 8 Tage immer, wenn die Lichtlein brannten, damit, um Nüsse zu spielen und jeder wollte recht viel gewinnen. An Purim ging der Jubel schon am frühen Morgen los da trugen wir Schlachmonaus zu Verwandten und Freunden, und natürlich viel für uns Kinder allerhand ab. Am Abend kamen viele Masken zu uns; auch wir machten uns allerlei Kostüme zurecht und gingen darin zu Bekannten; wir waren dabei fest überzeugt, daß niemand uns erkennen könne. So führten wir ein frohes Leben; unsere Eltern hatten selbstverständlich auch ihre Sorgen; aber wir Kinder merkten nicht viel davon. Wir waren, wie ich schon erwähnte, 12 Geschwister alle 7 Brüder besuchten dasselbe Gymnasium und die meisten waren sehr gute Schüler; der eine wurde später Rabbiner und war aber 25 Jahre Landrabbiner von Hannover; ein anderer Bruder besuchte ebenfalls der Rabbinerseminar, studierte nebenbei Jura und Philologie und beteiligte sich viele Jahre lang an der Berliner Gemeinde. 2 der Brüder übernahmen später das väterliche Geschäft; auch die anderen wurden Kaufleute. Auch wir Mädels gingen alle in dieselbe Schule wie man das damals nannte Höhere Töchter Schule. Eine ältere Schwester und ich machten dann das Lehrerinnenexamen und ich unterrichtete dann eine Zeitlang an derselben Schule. Doch das gehört nicht mehr in meine Kinderzeit, so habe ich eigentlich nichts mehr zu sagen nur möchte ich als Abschluß ein paar Worte von mir beifügen, weil ich denke, daß sie meine Mutter so, wie sie war, schildern.
If I tell you, today, something about my childhood, I have to ask for your forbearance, because there is nothing very remarkable in what I have to say. I can’t impart anything about Jewish life in my hometown of Breslau that would be much different from other large German cities, also nothing about continuously new impressions, which I would have had, if my parents had changed their place of residence, for I didn’t leave the house where I first saw the light of day until I married. Thus, my parents’ house was my whole world and it was filled with the spirit of my father and mother. It must have been a benevolent spirit, because several childhood friends, who I met later in life, assured me that they had spent the some of the best hours of their lives in my parents’ house. It was always an open house and always ready to take someone in, who at that moment wanted to come; be it an elderly aunt who didn’t want to be alone during the holidays or other relatives, who had something to take care of in our city; cousins, who spent happy vacations with us; girlfriends of us girls or school pals of my brothers, who all felt very comfortable at our house. Besides, we weren’t exactly few in number, a whole dozen, seven brothers and five sisters.
My father was a business man; he was known for the rectitude with which he conducted his profession. Even in those times, he had a good German education, a vast knowledge of Judaism and he took part in all socially-minded matters. In this way, he and his friends founded a society for the upbringing of needy Jewish children, most of them fatherless, who were not taken in by an orphanage. His plan was to place individual children with families, who could give them a home. In some cases, good results were achieved. Almost all the children under his protection grew up to be capable people, especially the ones placed in a home. But some people only wanted to make extra money by taking in children and so in the end, the plan shifted to gathering all the children in one house, managed by a married couple. This house continued to operate after the death of my father, until it met its end, like so many other charitable undertakings, under Hitler. As long as my father lived, he took an interest in every one of the children there. He had them come to him and checked on their progress and their health. He was especially happy, when one of them was successful in life.
My father was strict with us kids and didn’t tolerate disobedience, but, on the other hand, he had a knack for showing us the beautiful things in life. He had, e.g., a great love of nature and, every Sunday, took us all on an outing in the area surrounding Breslau. He pointed out all that was remarkable that we encountered on the way. At least 6-8 of us always accompanied him and when one of us occasionally lagged behind, he blew a little whistle that he always carried with him for this purpose, and soon we were all together again. It was a very special pleasure for him, if, once a year, an acquaintance made a Kremserwagon (that is, a simple wagon with enough wooden benches to accommodate about 20 people) available to him. Then he could take friends along, too, and we’d go further afield, with no end of singing, laughing and joy. He also showed us the Silesian mountains and none of us ever lost the joy of hiking in the mountains or in God’s great outdoors.
Mother, without whom Father generally didn’t enjoy himself, couldn’t keep pace on these excursions. She was no hiker. But otherwise, she supported him in all his endeavors, and even found time to tend to the children in Father’s care, in addition to her own brood. Strangely enough, she had time for everyone and everything, and scarcely anyone who came to her with a request, went away disappointed. My mother was the embodiment of goodness. I can’t remember ever having heard an angry or harsh word from her. She sang the whole day. If there was an argument to smooth over or someone to help, she was always available. She was deeply pious, but also very tolerant and never tried to sway others. When she helped the poor, she was very careful that they not feel ashamed. So it was at our house that mountains of cakes were baked before every Friday, a portion of which Mother put in little packages and in each package, some money wrapped in paper. We kids then took these packages to the needy, and delivered them with Sabbath greetings from our parents.
Yes, we certainly knew how to celebrate holidays, and each holiday had something special about it. Four weeks before Passover, my father had a barrel of wine delivered. He poured it into bottles and we kids could help. We were overjoyed when during the Seder, we were allowed to drink! And what a beautiful Seder my father conducted! I think it has stayed with us all to this day. On Shevuot, we decorated the entire apartment with green, and in the evening, like in so many families, we stayed up for coffee and cake and study. For some 25 years, my father blew the shofar on Rosh Hashanah in the synagogue that he attended. Already four weeks beforehand, the shofar was […], and for a whole month, he blew it daily, to get a purer sound. We believed no one could have done it so beautifully. After Yom Kippur was over, we began to make decorations for the Sukkah. Not only our whole family, but the whole building, took part and we kids were very proud when our Sukkah came out particularly well. Simchat Torah was naturally an especially joyous holiday, always with guests and a great deal of sweets. Hanukkah also cast a long shadow. Then Father rigged up the handle of a brush. He cut the letters Alef [sic], Gimel, Nun and Shin on it, in order to mold a dreidel. After the molding was done, we decorated it and amused ourselves during the 8 days when the little lights were burning, playing with nuts and each of us wanted to win a whole lot. On Purim, the jubilation already began early in the morning, when we carried Schlachmonaus to relatives and friends, with plenty left for us, of course. In the evening, many people came to us in fancy dress. We, too, dressed up in all kinds of costumes and went to acquaintances, totally convinced that no one could recognize us.
So we led a happy life. Our parents had their worries, of course, but we kids weren’t very much aware of it. We were, as I already said, twelve siblings. Seven brothers attended the same high school and most of them were good students. One later became a rabbi and was a county rabbi in Hannover for 25 years. Another brother also attended the rabbinical seminary, studied law and philology on the side and was involved with the Jewish community in Berlin for many years. Two brothers later took over the family business and the others became businessmen too. We girls also went to the same school, which then was called the “daughters’ high school”. An older sister and I took the teacher’s exam and I taught for a while at the same school. Anyway, that isn’t part of my childhood, so actually I have nothing more to say. Only, I would like to finish by adding a few words of my own, because I think that they show my mother as she was.
Transcribed and translated by Anuschka Tomat & Helen Brandshaft
from documents in the Leo Baeck Institute, Jerusalem: Versuch einer Sammlung von Memoiren aus einem jüdischen Elternheim. Adolf Peritz, Haifa, 1948.
Call/Accession Number: ME 498 MM 61 • Collection: LBIJER 1
System Number: CJH_ALEPH000200973
cjh_digitool574593